Mitteilung der Pressestelle Nr. 014/2017 vom 01.02.2017
Beschluss vom 22. November 2016 - XI ZB 9/13
Der u.a. für das gesetzlich geregelte Prospekthaftungsrecht
zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 22.
November 2016 über die Rechtsbeschwerden von Anlegern und die
Anschlussrechtsbeschwerde der Deutschen Telekom AG gegen den Musterentscheid
des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 3. Juli 2013 entschieden. Der
Senatsbeschluss wurde den am Rechtsbeschwerdeverfahren Beteiligten zugestellt.
Die Veröffentlichung im Klageregister ist veranlasst.
Gegenstand des - im Zusammenhang mit den massenhaft
erhobenen Klagen von Aktionären der Deutschen Telekom AG - neu geschaffenen
Kapitalanleger-Musterverfahrens können nur verallgemeinerungsfähige Vorfragen
zu den einzelnen Aktionärsklagen sein. Im Mittelpunkt des Verfahrens steht
dabei die (Un-)Richtigkeit des anlässlich des sogenannten "zweiten
Börsengangs" der Deutschen Telekom AG herausgegebenen Verkaufs- und
Börsenzulassungsprospekts. Auf Grundlage dieses Prospekts wurden im Jahr 1999
u.a. 250 Millionen neue Stückaktien aus einer im Juni 1999 erfolgten Kapitalerhöhung
zum Börsenhandel zugelassen und von der Deutschen Telekom AG öffentlich zum
Verkauf angeboten. Zudem diente der Prospekt dazu, über 1,7 Milliarden Aktien
aus dem Bestand der Bundesrepublik Deutschland und der Kreditanstalt für
Wiederaufbau (KfW) zum Börsenhandel zuzulassen. Nachdem der Kurs der Aktien
stark gefallen war, kam es ab dem Jahr 2001 zu zahlreichen Klagen gegen die
Deutsche Telekom AG, die Bundesrepublik Deutschland, die KfW und einen Teil der
Konsortialbanken.
Im Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am
Main haben der
Musterkläger und die auf seiner Seite Beigeladenen eine
Vielzahl von Prospektfehlern geltend gemacht. Die Musterbeklagten - die
Deutsche Telekom AG, die Bundesrepublik Deutschland, die KfW und eine in den
Ausgangsverfahren verklagte Konsortialbank - haben das Vorliegen eines
Prospektfehlers in Abrede gestellt und sich auf Verjährung berufen. Das
Oberlandesgericht hat über die ihm durch mehrfach berichtigten und ergänzten
Vorlagebeschluss des Landgerichts vorgelegten Fragen und über die mit
Erweiterungsbeschluss des Oberlandesgerichts einbezogenen Feststellungsziele
durch Musterentscheid vom 3. Juli 2013 entschieden. Einen Prospektfehler hat es
nicht festgestellt. Feststellungen hat es lediglich zu Teilaspekten, wie zur
Prospektverantwortlichkeit der Deutschen Telekom AG, zu Verjährungsfragen, zur
Darlegungs- und Beweislast und zum Adressatenkreis des Prospekts getroffen. Im
Übrigen hat es die beantragten Feststellungen nicht getroffen.
Gegen den Musterentscheid haben 36 Beigeladene
Rechtsbeschwerde eingelegt. Der XI.
Zivilsenat hat entschieden, dass das Oberlandesgericht die gerügten
Prospektfehler zu Recht verneint hat. Insbesondere berichtet der Prospekt
zutreffend und vollständig über das Immobilienvermögen der Deutschen Telekom AG
mit mehr als 12.000 Grundstücken und etwa 33.000 baulichen Anlagen. Aufgrund
einer umfassenden tatrichterlichen Würdigung ist das Oberlandesgericht
rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Wert des Immobilienvermögens im
Prospekt nicht wesentlich zu hoch angegeben worden war. Der Prospektfehler, den
der XI. Zivilsenat in dem anlässlich des "dritten Börsengangs" der
Deutschen Telekom AG im Jahr 2000 herausgegebenen Verkaufsprospekt festgestellt
hat (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2014 - XI ZB 12/12, BGHZ 203, 1; vgl.
Pressemitteilung Nr. 186/2014), betraf einen zeitlich nachfolgenden
Geschäftsvorfall, der im hier verfahrensgegenständlichen Prospekt zum
"zweiten Börsengang" noch keine Rolle spielte.
Damit steht für alle Ausgangsverfahren bindend fest, dass
aus den betreffend den Prospekt des "zweiten Börsengangs" gerügten
Unvollständigkeiten und Unrichtigkeiten keine Prospekthaftungsansprüche gemäß
§§ 45 ff. BörsG aF* i.V.m. § 13 VerkProspG aF** und keine deliktischen Schadensersatzansprüche
hergeleitet werden können. Auf weitere Fragen zur Darlegungs- und Beweislast,
zur Verjährung, zum Adressatenkreis des Prospekts und zur Aktivlegitimation,
die dem Oberlandesgericht zur Vorabentscheidung vorgelegt worden waren und zu
denen es ebenfalls Feststellungen getroffen hat, wird es in den
Ausgangsverfahren daher nicht mehr entscheidungserheblich ankommen. Aus diesem
Grunde hat der XI. Zivilsenat die dazu getroffenen Feststellungen auf die
Rechtsbeschwerden der Beigeladenen und die Anschlussrechtsbeschwerde der
Deutschen Telekom AG aufgehoben und den Vorlagebeschluss insoweit für
gegenstandslos erklärt.
Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main - Beschluss vom 22. November 2006 -
3/7 OH 2/06
OLG Frankfurt am Main - Beschluss vom 3. Juli 2013 - 23
Kap 2/06
Karlsruhe, den 1. Februar 2017
* § 45 BörsG in der Fassung vom 9. September 1998
(1) Der Erwerber von Wertpapieren, die auf Grund eines
Prospekts zum Börsenhandel zugelassen sind, in dem für die Beurteilung der
Wertpapiere wesentliche Angaben unrichtig oder unvollständig sind, kann
1. von denjenigen, die für den Prospekt die Verantwortung
übernommen haben und
2. von denjenigen, von denen der Erlass des Prospekts
ausgeht,
als Gesamtschuldnern die Übernahme der Wertpapiere gegen
Erstattung des Erwerbspreises, soweit dieser den ersten Ausgabepreis der
Wertpapiere nicht überschreitet, und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen
Kosten verlangen, sofern das Erwerbsgeschäft nach Veröffentlichung des
Prospekts und innerhalb von sechs Monaten nach erstmaliger Einführung der
Wertpapiere abgeschlossen wurde. (…)
** § 13 VerkProspG in der Fassung vom 9. September
1998
(1) Sind für die Beurteilung der Wertpapiere wesentliche
Angaben in einem Verkaufsprospekt unrichtig oder unvollständig, so sind die
Vorschriften der §§ 45 bis 48 des Börsengesetzes (…) entsprechend anzuwenden:
(…)
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
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