Dienstag, 6. Mai 2008

Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Auslegung der Haustürgeschäfte-Richtlinie

Die Parteien streiten im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage über die Frage, ob der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ausgleich des nach seinem Ausscheiden aus einem geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bestehenden negativen Auseinandersetzungsguthabens zusteht.

I. Der Beklagte hat am 23. Juli 1991 aufgrund von Verhandlungen, die in seiner Privatwohnung geführt worden sind, seinen Beitritt zu dem aus 46 Gesellschaftern bestehenden geschlossenen Immobilienfonds erklärt. Gegenstand dieser Publikumsgesellschaft ist die Instandsetzung, Modernisierung und Verwaltung eines Grundstücks in Berlin.

In einem Vorprozess forderte die Klägerin als Geschäftsführerin der GbR vom Beklagten die Zahlung von Nachschüssen, die die Gesellschafterversammlung der GbR zur Beseitigung von Unterdeckungen beschlossen hatte. Im Laufe des Verfahrens hat der Beklagte seine Mitgliedschaft in der GbR fristlos gekündigt und die Beitrittserklärung nach § 3 HWiG (jetzt § 312 BGB) widerrufen. Die Klage ist im Vorprozess mit der Begründung abgewiesen worden, nach wirksamer Kündigung des Gesellschaftsbeitritts durch den Beklagten bestünden zwischen den Parteien lediglich noch Ansprüche nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft. Die Nachschussforderung sei daher nicht mehr selbständig einklagbar, sondern sie sei als unselbständiger Rechnungsposten in die infolge des Ausscheidens des Beklagten auf den Tag des Wirksamwerdens des Ausscheidens zu erstellende Auseinandersetzungsrechnung einzustellen.

Die Klägerin hat dieser Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Vorprozess Rechnung getragen und zum Stichtag 6. August 2002 eine Auseinandersetzungsrechnung erstellt, die ein negatives Auseinandersetzungsguthaben des Beklagten in Höhe von 16.319,00 € ausweist.

Der Beklagte betreibt gegen die Klägerin die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Vorprozesses. Die Klägerin hat mit ihrer Forderung gegen den Beklagten auf Zahlung des negativen Auseinandersetzungsguthabens die Aufrechnung gegen die Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss erklärt und im vorliegenden Rechtsstreit Vollstreckungsgegenklage erhoben. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie auf die Berufung des Beklagten im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, zwar führe der unstreitig erklärte und wirksame Widerruf der Beitrittserklärung des Beklagten zu der GbR nach § 3 HWiG grundsätzlich zu einer Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft mit der Folge, dass der widerrufende Gesellschafter lediglich Anspruch auf sein Auseinandersetzungsguthaben habe. Dies gelte jedoch nicht, wenn die Auseinandersetzung zu einer Zahlungspflicht des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft führe. Diese Folge verstoße gegen die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (Haustürgeschäfte-RL), da aus dieser klar hervorgehe, dass den Verbraucher infolge des Widerrufs keine Verpflichtungen aus dem widerrufenen Vertrag mehr treffen dürften und empfangene Leistungen zurückzugewähren seien. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.

II. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht in Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der in der Literatur weitgehend zugestimmt wird. Danach finden zwar auf den Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft, zu dem ein Verbraucher durch mündliche Verhandlungen im Bereich seiner Privatwohnung bestimmt worden ist, die Vorschriften des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften (jetzt: §§ 312, 355 ff BGB) Anwendung (BGHZ 133, 254, 261 f.; 148, 201, 203; Sen.Urt. v. 18. Oktober 2004 II ZR 352/02, ZIP 2004, 2319, 2320; v. 29. November 2004 II ZR 6/03, ZIP 2005, 254, 255; v. 21. März 2005 II ZR 140/03, ZIP 2005, 753, 756; v. 18. April 2005 II ZR 224/04, ZIP 2005, 1124, 1126). Widerruft der in einer sog. Haustürsituation beigetretene Gesellschafter seine Beitrittserklärung zu einem geschlossenen Immobilienfonds der hier vorliegenden Art (dasselbe Problem kann sich auch bei Immobilienfonds in Gestalt von Kommanditgesellschaften oder bei einem Beitritt zu einem Verein oder einer Genossenschaft stellen), sieht die Rechtsprechung - von der h. A. in der Literatur ebenfalls geteilt - darin jedoch keinen ex tunc wirkenden Rücktritt von dem Gesellschaftsbeitritt, sondern behandelt die Erklärung unter Heranziehung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft als außerordentliche ex nunc wirkende Kündigung, die folgerichtig nicht zu einer rückwirkenden Beseitigung der Gesellschafterstellung im Sinne einer grundsätzlich in § 3 HWiG für den Fall des Widerrufs vorgesehenen Rückabwicklung des Vertrages führen kann: Nach den Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft wird der widerrufende Gesellschafter bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung wie ein Gesellschafter mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten behandelt. Er ist zur Leistung seiner Einlage, soweit sie noch nicht vollständig erbracht ist, verpflichtet und nimmt bis zum Zeitpunkt seines Ausscheidens an den Gewinnen und Verlusten der Gesellschaft teil (BGHZ 153, 214, 221; 156, 46, 52 f.; 54; Sen.Urt. v. 14. Oktober 1991 – II ZR 212/90, WM 1992, 490, 491).

Die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft finden generell nur dann keine Anwendung, wenn der in Vollzug gesetzte fehlerhafte Gesellschaftsvertrag oder der vollzogene fehlerhafte Beitritt einen Geschäftsunfähigen oder Minderjährigen betrifft oder wenn die fehlerhaften, vollzogenen Vorgänge gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstoßen. Allein dann versagen die Rechtsprechung und die herrschende Lehre dem fehlerhaften Gesellschaftsvertrag oder dem fehlerhaften Beitritt die rechtliche Anerkennung. Dagegen bleibt es bei den Regeln der fehlerhaften Gesellschaft selbst dann, wenn ein Gesellschafter durch arglistige Täuschung oder Drohung zum Gesellschaftsbeitritt veranlasst worden ist.

Übertragen auf das Haustürgeschäft bedeutet dies: Die Anwendung der Grundsätze über den fehlerhaften Beitritt kann für den nach § 3 HWiG widerrufenden Gesellschafter zum einen dazu führen, dass sein Abfindungsguthaben wegen während seiner Mitgliedschaft eingetretener, von ihm mitzutragender Verluste der Gesellschaft geringer ist als seine Einlageleistung; ihre Anwendung kann sogar, wie im vorliegenden Fall, dazu führen, dass wegen der von der Gesellschaft während der Dauer der Mitgliedschaft des Widerrufenden erwirtschafteten Verluste das Abfindungsguthaben negativ ist, der widerrufende Gesellschafter also nicht nur seine Einlage nicht zurückerhält, sondern seinerseits zu Zahlungen an die Gesellschaft verpflichtet ist. Da aber selbst die Interessen des betrogenen Gesellschafters nicht als gewichtiger einzustufen sind als diejenigen des Rechtsverkehrs und der übrigen Gesellschafter, kann zugunsten desjenigen, der in der Haustürsituation seine Beitrittserklärung abgegeben hat, nach der von der überwiegenden Meinung im Schrifttum geteilten langjährigen Rechtsprechung des Senats schwerlich anderes gelten.

III. Der II. Zivilsenat hat unter Beachtung insbesondere des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Oktober 2005 (Rs C-350/03 Schulte, ZIP 2005, 1959 ff.) und der sich hieran anschließenden Diskussion im Schrifttum Zweifel bekommen, ob die aufgezeigten - nach deutschem Recht zweifellos sachgerechten, weil die Interessen aller Beteiligten in die Lösung einbeziehenden - Regelungen wegen der den Widerrufenden belastenden Rechtsfolgen mit der Richtlinie 85/577/EWG in Einklang stehen, nach deren Art. 5 Abs. 2 die Anzeige des Rücktritts von den eingegangenen Verpflichtungen bewirkt, dass der Verbraucher aus allen aus dem widerrufenen Vertrag erwachsenden Verpflichtungen entlassen ist. M. a. W. geht es um die Frage, ob der einen Gesellschaftsbeitritt nach dem HWiG Widerrufende denselben Schutz genießen muss, wie die Gruppe der nicht oder nicht voll geschäftsfähigen Personen, auf welche die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft mit Rücksicht auf ihr höherrangig bewertetes Schutzbedürfnis nicht angewandt werden.

Der Senat hat daher das Revisionsverfahren ausgesetzt und – der Verpflichtung aus Art 234 EG-Vertrag folgend – dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Beitritte zu Personengesellschaften, Vereinen oder Genossenschaften mit dem vorrangigen Ziel einer Kapitalanlage von der Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 85/577/EWG erfasst werden, und ob die Bestimmungen der Art. 5 Abs. 2 und Art. 7 der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie der Behandlung des widerrufenden Verbrauchers als (zunächst) wirksam beigetretenen Gesellschafter mit allen daraus folgenden Rechten und Pflichten bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs entgegenstehen.

Beschluss vom 5. Mai 2008 – II ZR 292/06

LG München I - Urteil vom 25. April 2006 – 34 O 16095/05

OLG München - Urteil vom 23. November 2006 – 8 U 3479/06

Karlsruhe, den 5. Mai 2008

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Bundesgerichtshof zu Rückforderungsansprüchen bei Schenkkreisen

Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.03.2008, Az. III ZR 282/07

amtlicher Leitsatz:

Die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB entfällt nicht nur bei Bereicherungsansprüchen, die sich gegen die Initiatoren eines "Schenkkreises" richten, sondern allgemein bei allen Zuwendungen im Rahmen derartiger Kreise, ohne dass es auf eine einzelfallbezogene Prüfung der Geschäftsgewandtheit und Erfahrenheit des betroffenen Gebers oder Empfängers ankommt (Fortführung des Senatsurteils vom 10. November 2005 - III ZR 72/05 = NJW 2006, 45).