Mitteilung der Pressestelle Nr. 021/2017 vom 21.02.2017
Urteile vom 21. Februar 2017 - XI ZR 185/16 und XI ZR
272/16
Der u. a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hat in zwei im wesentlichen Punkt parallel gelagerten
Revisionsverfahren entschieden, dass eine Bausparkasse Bausparverträge gemäß §
489 Abs. 1 Nr. 3 BGB* in der bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung (im
Folgenden a.F.) - jetzt § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB** - kündigen kann, wenn die
Verträge seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif sind, auch wenn diese noch
nicht voll bespart sind.
In dem Verfahren XI ZR 185/16 (vgl. dazu die
Pressemitteilung Nr. 240/2016) schloss die Klägerin am 13. September 1978 mit
der beklagten Bausparkasse einen Bausparvertrag über eine Bausparsumme von
40.000 DM (= 20.451,68 €). Der Bausparvertrag war seit dem 1. April 1993
zuteilungsreif. Am 12. Januar 2015 erklärte die Beklagte die Kündigung des
Bausparvertrages unter Berufung auf § 489 Abs. 1 BGB zum 24. Juli 2015. Die
Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte den Bausparvertrag nicht wirksam
habe kündigen können, und begehrt in der Hauptsache die Feststellung, dass der
Bausparvertrag nicht durch die erklärte Kündigung beendet worden ist. Das
Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das
Berufungsgericht das Urteil abgeändert und der Klage mit Ausnahme eines Teils
der Nebenforderungen stattgegeben.
In dem Verfahren XI ZR 272/16 (vgl. Pressemitteilung Nr.
239/2016) schloss die Klägerin gemeinsam mit ihrem verstorbenen Ehemann, den
sie als Alleinerbin beerbt hat, mit der beklagten Bausparkasse am 10. März 1999
einen Bausparvertrag über eine Bausparsumme von 160.000 DM (= 81.806,70 €) und
am 25. März 1999 einen weiteren Bausparvertrag über eine Bausparsumme von
40.000 DM (= 20.451,68 €). Mit Schreiben vom 12. Januar 2015 kündigte die
Beklagte beide Bausparverträge mit Wirkung zum 24. Juli 2015, nachdem diese
seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreife waren. Die Klägerin ist der Ansicht,
dass die erklärten Kündigungen unwirksam seien, weil der Beklagten kein
Kündigungsrecht zustehe. Sie begehrt in der Hauptsache die Feststellung, dass
die Bausparverträge nicht durch die Kündigung beendet worden sind. Das
Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das
Oberlandesgericht das Urteil abgeändert und der Klage mit Ausnahme eines Teils
der Nebenforderungen stattgegeben.
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in beiden
Verfahren auf die jeweils vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen der
Beklagten die Urteile des Berufungsgerichts aufgehoben, soweit zum Nachteil der
beklagten Bausparkassen entschieden worden ist, und die erstinstanzlichen
Urteile wiederhergestellt. Damit hatten die Klagen keinen Erfolg.
Auf die Bausparverträge ist Darlehensrecht anzuwenden,
denn während der Ansparphase eines Bausparvertrages ist die Bausparkasse
Darlehensnehmerin und der Bausparer Darlehensgeber. Erst mit der
Inanspruchnahme eines Bauspardarlehens kommt es zu einem Rollenwechsel.
Der XI. Zivilsenat hat in Übereinstimmung mit der
herrschenden Ansicht in der Instanzrechtsprechung und Literatur entschieden,
dass die Kündigungsvorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB a.F. auch zugunsten
einer Bausparkasse als Darlehensnehmerin anwendbar ist. Dies folgt nicht nur
aus dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes, sondern auch aus der
Entstehungsgeschichte und dem Regelungszweck der Norm, wonach jeder
Darlehensnehmer nach Ablauf von zehn Jahren nach Empfang des Darlehens die
Möglichkeit haben soll, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen.
Ebenfalls in Übereinstimmung mit der herrschenden Ansicht
in der Instanzrechtsprechung und Literatur hat der XI. Zivilsenat entschieden,
dass die Voraussetzungen des Kündigungsrechts vorliegen. Denn mit dem Eintritt
der erstmaligen Zuteilungsreife hat die Bausparkasse unter Berücksichtigung des
Zwecks des Bausparvertrages das Darlehen des Bausparers vollständig empfangen.
Der Vertragszweck besteht für den Bausparer darin, durch die Erbringung von
Ansparleistungen einen Anspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens zu
erlangen. Aufgrund dessen hat er das damit korrespondierende Zweckdarlehen mit
Eintritt der erstmaligen Zuteilungsreife vollständig gewährt. Dies gilt
ungeachtet des Umstandes, dass der Bausparer verpflichtet sein kann, über den
Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife hinaus weitere Ansparleistungen zu
erbringen, weil diese Zahlungen nicht mehr der Erfüllung des Vertragszwecks
dienen.
Danach sind Bausparverträge im Regelfall zehn Jahre nach
Zuteilungsreife kündbar. Aus diesem Grunde sind hier die von der beklagten
Bausparkasse jeweils mehr als zehn Jahre nach erstmaliger Zuteilungsreife
erklärten Kündigungen der Bausparverträge wirksam.
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Urteile vom 15. September 2015 - 25 O 89/15
und vom 19. November 2015 – 6 O 76/15
OLG Stuttgart, Urteile vom 30. März 2016 – 9 U 171/15 und
vom 4. Mai 2016 – 9 U 230/15
Karlsruhe, den 21. Februar 2017
* § 489 Abs. 1 BGB in der Fassung bis zum 10. Juni
2010
Ordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers
(1) Der Darlehensnehmer kann einen Darlehensvertrag, bei
dem für einen bestimmten Zeitraum ein fester Zinssatz vereinbart ist, ganz oder
teilweise kündigen,
1.…
2.…;
3.in jedem Fall nach Ablauf von zehn Jahren nach dem
vollständigen Empfang unter Einhaltung
einer Kündigungsfrist von sechs Monaten; wird nach dem Empfang des Darlehens
eine neue Vereinbarung über die Zeit der Rückzahlung oder den Zinssatz
getroffen, so tritt der Zeitpunkt dieser Vereinbarung an die Stelle des
Zeitpunkts der Auszahlung.
** § 489 Abs. 1 BGB in der seit dem 11. Juni 2010
geltenden Fassung
Ordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers
(1) Der Darlehensnehmer kann einen Darlehensvertrag mit
gebundenem Sollzinssatz ganz oder teilweise kündigen,
1.…
2.in jedem Fall nach Ablauf von zehn Jahren nach dem
vollständigen Empfang unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten;
wird nach dem Empfang des Darlehens eine neue Vereinbarung über die Zeit der
Rückzahlung oder den Sollzinssatz getroffen, so tritt der Zeitpunkt dieser
Vereinbarung an die Stelle des Zeitpunkts des Empfangs.
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