BGH-Pressemitteilung Nr. 239/2016 vom 20.12.2016
Die Klägerin begehrt die Feststellung des Fortbestandes
von zwei Bausparverträgen.
Die Klägerin schloss gemeinsam mit ihrem verstorbenen
Ehemann, den sie als Alleinerbin beerbt hat, mit der Beklagten am 10. März 1999
einen Bausparvertrag über eine Bausparsumme von 160.000 DM (= 81.806,70 €)
sowie am 25. März 1999 einen Bausparvertrag über eine Bausparsumme von 40.000
DM (= 20.451,68 €). Beide Verträge waren am 1. Juli 2001 zuteilungsreif. Die
Bausparverträge wiesen am 31. Dezember 2014 ein Bausparguthaben in Höhe von
52.632,46 € bzw. 13.028,89 € auf. Mit Schreiben vom 12. Januar 2015 erklärte
die Beklagte unter Berufung auf §
489 Abs. 1 Nr. 2 BGB* die Kündigung der beiden Bausparverträge jeweils mit
Wirkung zum 24. Juli 2015.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte die
Verträge nicht wirksam hat kündigen können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die
Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil
abgeändert und der Klage stattgeben.
Zur Begründung hat das Berufungsgericht (OLG Stuttgart,
WM 2016, 1440) ausgeführt, dass der Beklagten kein Kündigungsrecht zustehe. Auf
den Bausparvertrag finde das Darlehensrecht Anwendung. Die Voraussetzungen für
eine ordentliche Kündigung gemäß § 488 Abs. 3 BGB** liegen aber nicht vor. Denn
ein Bausparvertrag könne nach herrschender Meinung erst ab vollständiger Besparung
gemäß § 488 Abs. 3 BGB gekündigt
werden.
Die Beklagte könne ihre Kündigung auch nicht auf § 489
Abs. 1 Nr. 2 BGB stützen. Es sei bereits zweifelhaft, ob die tatbestandlichen
Voraussetzungen des Kündigungsrechts erfüllt seien, auch wenn die Klägerin
bedingungsgemäß nur zur Ansparung des Mindestsparguthabens verpflichtet sei,
weil ausweislich der Bausparbedingungen auch die Zinserträge als Einlagen
erbracht werden müssen. Jedenfalls sei § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht auf das
Einlagengeschäft von Bausparkassen anzuwenden. Dies ergebe eine Auslegung der
Vorschrift, die teleologisch zu reduzieren sei. Zwar sprechen der Wortlaut und
die Gesetzessystematik dafür, die Norm auf das Einlagengeschäft der
Bausparkassen anzuwenden. Indes ergebe eine historische Auslegung eine
Einschränkung des Anwendungsbereichs. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich,
dass der Gesetzgeber ausschließlich das Aktivgeschäft der Kreditinstitute habe
regeln wollen und das Bausparkassengeschäft nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst
sei. Ein wesentliches Ziel des Gesetzgebers mit der Einführung des
Kündigungsrechts sei der Schutz des Darlehensnehmers vor der Verpflichtung zur
Zahlung eines nicht mehr marktgerechten Zinses gewesen, deren Ursache im
Zinsbestimmungsrecht des Darlehensgebers gegenüber dem wirtschaftlich
schwächeren Schuldner liege. Demgegenüber befinden sich Bausparkassen in der
Ansparphase als Darlehensnehmer nicht in der Position des schwächeren
Schuldners, der einem Zinsbestimmungsrecht des Gläubigers ausgesetzt sei.
Vielmehr weise ihnen der Gesetzgeber gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 2 BauSparkG*** die
Aufgabe zu, in ihren ABB einseitig die Verzinsung der Bauspareinlagen
festzulegen. Ebenso haben sie gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 7*** BauSparkG die
Bedingungen aufzustellen, unter denen ein Bausparvertrag auch von der
Bausparkasse gekündigt werden könne.
Die Beklagte habe auch kein Kündigungsrecht gemäß §§ 490
Abs. 3****, 314 Abs. 1 BGB*****. Die Nichtabnahme des Darlehens stelle kein
vertragswidriges Verhalten des Bausparers dar, sondern sei im Bausparvertrag
ausdrücklich vorgesehen. Hinsichtlich der Nichtzahlung der Regelsparbeiträge
habe die Beklagte ein spezielleres Kündigungsrecht aus den Bausparbedingungen.
Insoweit sei ihr zuzumuten, dessen Voraussetzungen herbeizuführen.
Aus §§ 490 Abs. 3, 313 Abs. 3 BGB****** ergebe sich
ebenfalls kein Kündigungsrecht. Die Geschäftsgrundlage wäre selbst dann nicht
entfallen, wenn die Klägerin ihre Absicht zur Inanspruchnahme des Darlehens
endgültig aufgegeben hätte. Die Geschäftsgrundlage wäre aber auch dann nicht
entfallen wenn das Gleichgewicht zwischen Bauspareinlagen und Bauspardarlehen
dergestalt gestört wäre, dass die Beklagte ihre Verpflichtungen nicht mehr
erfüllen könnte, denn sie habe dieses vertragsspezifische Risiko übernommen.
Vorinstanzen:
LG Stuttgart – Urteil vom 19. November 2015 – 6 O 76/15
OLG Stuttgart – Urteil vom 4. Mai 2016 – 9 U 230/15
Karlsruhe, den 20. Dezember 2016
*§ 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB
Ordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers
(1) Der Darlehensnehmer kann einen Darlehensvertrag mit
gebundenem Sollzinssatz ganz oder teilweise kündigen,
1. (…)
2. in jedem Fall nach Ablauf von zehn Jahren nach dem
vollständigen Empfang unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten;
wird nach dem Empfang des Darlehens eine neue Vereinbarung über die Zeit der
Rückzahlung oder den Sollzinssatz getroffen, so tritt der Zeitpunkt dieser
Vereinbarung an die Stelle des Zeitpunkts des Empfangs.
(2.) (…)
(3.) (…)
(4.) (…)
(5.) (…)
**§ 488 Abs. 3 BGB
Vertragstypische Pflichten beim Darlehensvertrag
(1) (…)
(2) (…)
(3) Ist für die Rückzahlung des Darlehens eine Zeit nicht
bestimmt, so hängt die Fälligkeit davon ab, dass der Darlehensgeber oder der
Darlehensnehmer kündigt. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate. Sind Zinsen
nicht geschuldet, so ist der Darlehensnehmer auch ohne Kündigung zur
Rückzahlung berechtigt.
*** § 5 BauSparkG
Allgemeine Geschäftsgrundsätze, Allgemeine Bedingungen
für Bausparverträge
(1) Bausparkassen haben ihrem Geschäftsbetrieb Allgemeine
Geschäftsgrundsätze und Allgemeine Bedingungen für Bausparverträge zugrunde zu
legen.
(2) (…)
(3) Die Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge
müssen Bestimmungen enthalten über
1. (…)
2. die Verzinsung der Bauspareinlagen und der
Bauspardarlehen;
3. (…)
4. (…)
5. (…)
6. (…)
7. die Bedingungen, nach denen Ansprüche aus dem
Bausparvertrag abgetreten oder verpfändet werden können oder ein Bausparvertrag
gekündigt werden kann, sowie die Rechtsfolgen, die sich aus der Kündigung des
Bausparvertrages oder aus einer vereinfachten Abwicklung der Bausparverträge
ergeben;
(…)
(4) (…)
(5) (…)
**** § 490 Abs. 3 BGB
Außerordentliches Kündigungsrecht
(1) (…)
(2) (…)
(3) Die Vorschriften der §§ 313 und 314 bleiben
unberührt.
*****314 Abs. 1 BGB
Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem
Grund
(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus
wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger
Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die
Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis
zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
(2) (…)
(3.) (…)
(4.) (…)
******§ 313 BGB
Störung der Geschäftsgrundlage
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags
geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die
Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese
Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt
werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung,
das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn
wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich
als falsch herausstellen.
(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder
einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag
zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für
Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen