Der unter anderem für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute in mehreren Verfahren
darüber entschieden, welche Ansprüche Versicherungsnehmern, die in den
Jahren 2001 und 2002 kreditfinanzierte Lebensversicherungsverträge des
Produkttyps "Wealthmaster Noble" bei dem englischen Lebensversicherer
Clerical Medical Investment Ltd. abgeschlossen haben, gegen diesen
Versicherer zustehen.
Den Verfahren IV ZR 151/11 und 164/11 lag dabei folgender Sachverhalt zugrunde:
Bei diesen anteilsgebundenen Lebensversicherungen haben die Kläger gegen
Zahlung eines Einmalbetrags Anteile an einem "Pool mit garantiertem
Wertzuwachs", dem "Euro-Pool 2000EINS" erworben. Die Verträge, die die
Kläger jeweils aufgrund einer Werbung durch "Untervermittler"
geschlossen haben, sind eingebettet in ein Anlagemodell "Europlan";
dieses sieht vor, dass die Zinsen für das Bankdarlehen durch vertraglich
bedungene Auszahlungen aus der Lebensversicherung zu entrichten sind
und im Übrigen durch einen Investmentfonds ein Kapitalstock gebildet
wird, der bei Endfälligkeit des Darlehens zu dessen Tilgung verwendet
werden soll, während weitere über diesen Zeitpunkt hinausreichende
Auszahlungen den Versicherungsnehmern als fortlaufende Rente zur
Verfügung stehen sollen.
Nachdem der Wertzuwachs der den Klägern zugeteilten Poolanteile in der
Folgezeit nicht ausreichte, um die zunächst getätigten Auszahlungen in
vollem Umfang zu decken, reduzierte die Beklagte unter Berufung auf ihre
Versicherungsbedingungen die Anzahl der den Klägern zugewiesenen
Anteile und damit den jährlich mitgeteilten Vertragswert.
Die Kläger verfolgen in erster Linie Schadensersatzansprüche wegen der
Verletzung von Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit den
Vertragsabschlüssen; sie berufen sich u.a. darauf, dass die Beklagte mit
unrealistischen Renditeerwartungen geworben habe bzw. durch ihre
Untervermittler habe werben lassen, und verlangen Ersatz des ihnen durch
Abschluss der Verträge entstandenen Vertrauensschadens, insbesondere
Freistellung von den Verbindlichkeiten aus den Darlehensverträgen.
Hilfsweise begehren sie die Erfüllung des Auszahlungsplans ohne
Rücknahme von Anteilen.
In der Vorinstanz hat das OLG Stuttgart in beiden Verfahren die Beklagte
jeweils zur Erfüllung des in den Versicherungsscheinen festgelegten
Auszahlungsplans verurteilt. Die primär geltend gemachten
Schadensersatzansprüche hat es im Hinblick auf das Bestehen dieser
Erfüllungsansprüche abgewiesen.
Auf die Revisionen der Parteien hat der Bundesgerichtshof die
Berufungsurteile aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Hierfür waren im
Wesentlichen folgende Gründe maßgebend:
Auf Grundlage der schriftlichen Vertragsunterlagen ist anzunehmen, dass
die Verpflichtung der Beklagten zur Erfüllung der in den
Versicherungsscheinen vorgesehenen Auszahlungspläne nicht unter dem
Vorbehalt einer ausreichenden Kapitaldeckung steht. Die objektive
Auslegung der in die Verträge einbezogenen Policenbedingungen der
Beklagten ergibt keine wirksame Einschränkung dieser Verpflichtung.
Die vom OLG Stuttgart insoweit ausgesprochenen Verurteilungen konnten
nur deshalb nicht bestehen bleiben, weil dieses dem unter Beweis
gestellten Vortrag der Beklagten, dass die Parteien den fraglichen
Klauseln aufgrund entsprechender Erläuterungen des Vermittlers beim
Vertragsabschluss übereinstimmend ein von dem Ergebnis objektiver
Auslegung abweichendes Verständnis beigelegt hätten, nicht nachgegangen
war. Insoweit bedarf es weiterer Feststellungen.
Weiter hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass die geltend
gemachten Schadensersatzansprüche nicht allein wegen des Bestehens der
vorstehend genannten Auszahlungsansprüche abgewiesen werden durften.
Insoweit ist es für einen Schaden ausreichend, dass der abgeschlossene
Vertrag sich für die Kläger auch ungeachtet bestehender
Erfüllungsansprüche als wirtschaftlich nachteilig darstellt, weil er sie
- u.a. aufgrund der eingegangenen Darlehensverpflichtungen - in ihrer
wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit beeinträchtigt und ihren
Anlagezielen nicht entspricht. Zu den Schadensersatzansprüchen hat der
Senat ferner ausgeführt:
Der Abschluss der Lebensversicherung "Wealthmaster Noble" stellt sich
bei wirtschaftlicher Betrachtung in erster Linie als ein Anlagegeschäft
dar, weshalb die Beklagte wie bei sonstigen Anlagegeschäften auch
verpflichtet war, die Kläger bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen
vollständig über alle Umstände zu informieren, die für ihren
Anlageentschluss von besonderer Bedeutung waren.
In diesem Rahmen muss die Beklagte sich nach § 278 BGB das Handeln und
die Erklärungen der tätig gewordenen Untervermittler zurechnen lassen,
da sie im Rahmen eines so genannten Strukturvertriebs die mit dem
Vertrieb der Lebensversicherung in Deutschland verbundenen Aufgaben
selbständigen Vermittlern überlassen hat.
Die bestehenden Aufklärungspflichten hat die Beklagte nach dem im
Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt vor allem dadurch
verletzt, dass sie den Klägern ein unzutreffendes, zu positives Bild der
zu erwartenden Rendite gegeben hat. Den Klägern wurden
Musterberechnungen übergeben, die auf einer Renditeprognose von 8,5 %
basieren, obwohl die Beklagte selbst nur eine Rendite von 6 % als
realistisch angesehen hat, was in den Hinweisen zu den
Musterberechnungen nicht ausreichend deutlich kenntlich gemacht ist.
Des Weiteren war die Beklagte zu einer verständlichen Information
darüber verpflichtet, dass sie im Rahmen des von ihr praktizierten
Glättungsverfahrens ("smoothing") nach eigenem Ermessen darüber
entscheidet, in welcher Höhe eine tatsächlich erzielte Rendite an die
Versicherungsnehmer weitergeben wird und in welcher Höhe sie in Reserven
fließt. Sie musste ferner darüber aufklären, dass die mit den Beiträgen
der Kläger gebildeten Reserven auch zur Erfüllung der Garantieansprüche
der Anleger anderer Pools verwendet werden können (Problem der
Quersubventionierung).
Die in den Policenbedingungen enthaltenen Regelungen zur
"Marktpreisanpassung" hat der Senat für unwirksam erachtet, weil sie
gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoßen.
In drei weiteren ähnlich gelagerten Fällen hat der Senat die
Berufungsurteile ebenfalls mit entsprechenden Begründungen aufgehoben
und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die
Berufungsgerichte zurückverwiesen.
Urteile vom 11. Juli 2012
IV ZR 122/11
Landgericht Heilbronn - Urteil vom 8. Juli 2010 - 4 O 280/09
Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 12. Mai 2011 - 7 U 144/10
und
IV ZR 151/11
Landgericht Heilbronn - Urteil vom 8. Juli 2010 - 4 O 284/09
Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 18. Juli 2011 - 7 U 146/10
und
IV ZR 164/11
Landgericht Heilbronn - Urteil vom 8. Juli 2010 - 4 O 222/09
Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 25. Juli 2011- 7 U 152/10
und
IV ZR 271/10
Landgericht Freiburg - Urteil vom 12. Juni 2009 - 5 O 354/07
Oberlandesgericht Karlsruhe in Freiburg - Urteil vom 18. November 2010 - 4 U 130/09
und
IV ZR 286/10
Landgericht Konstanz - Urteil vom 10. Juni 2009 - 4 O 89/08
Oberlandesgericht Karlsruhe in Freiburg - Urteil vom 30. November 2010 - 9 U 75/09
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
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