Mittwoch, 22. Februar 2017

Bundesgerichtshof bejaht Kündigungsrecht einer Bausparkasse zehn Jahre nach Zuteilungsreife

Mitteilung der Pressestelle Nr. 021/2017 vom 21.02.2017

Urteile vom 21. Februar 2017 - XI ZR 185/16 und XI ZR 272/16

Der u. a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in zwei im wesentlichen Punkt parallel gelagerten Revisionsverfahren entschieden, dass eine Bausparkasse Bausparverträge gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB* in der bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung (im Folgenden a.F.) - jetzt § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB** - kündigen kann, wenn die Verträge seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif sind, auch wenn diese noch nicht voll bespart sind.

In dem Verfahren XI ZR 185/16 (vgl. dazu die Pressemitteilung Nr. 240/2016) schloss die Klägerin am 13. September 1978 mit der beklagten Bausparkasse einen Bausparvertrag über eine Bausparsumme von 40.000 DM (= 20.451,68 €). Der Bausparvertrag war seit dem 1. April 1993 zuteilungsreif. Am 12. Januar 2015 erklärte die Beklagte die Kündigung des Bausparvertrages unter Berufung auf § 489 Abs. 1 BGB zum 24. Juli 2015. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte den Bausparvertrag nicht wirksam habe kündigen können, und begehrt in der Hauptsache die Feststellung, dass der Bausparvertrag nicht durch die erklärte Kündigung beendet worden ist. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das Urteil abgeändert und der Klage mit Ausnahme eines Teils der Nebenforderungen stattgegeben. 

In dem Verfahren XI ZR 272/16 (vgl. Pressemitteilung Nr. 239/2016) schloss die Klägerin gemeinsam mit ihrem verstorbenen Ehemann, den sie als Alleinerbin beerbt hat, mit der beklagten Bausparkasse am 10. März 1999 einen Bausparvertrag über eine Bausparsumme von 160.000 DM (= 81.806,70 €) und am 25. März 1999 einen weiteren Bausparvertrag über eine Bausparsumme von 40.000 DM (= 20.451,68 €). Mit Schreiben vom 12. Januar 2015 kündigte die Beklagte beide Bausparverträge mit Wirkung zum 24. Juli 2015, nachdem diese seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreife waren. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die erklärten Kündigungen unwirksam seien, weil der Beklagten kein Kündigungsrecht zustehe. Sie begehrt in der Hauptsache die Feststellung, dass die Bausparverträge nicht durch die Kündigung beendet worden sind. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das Urteil abgeändert und der Klage mit Ausnahme eines Teils der Nebenforderungen stattgegeben.

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in beiden Verfahren auf die jeweils vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen der Beklagten die Urteile des Berufungsgerichts aufgehoben, soweit zum Nachteil der beklagten Bausparkassen entschieden worden ist, und die erstinstanzlichen Urteile wiederhergestellt. Damit hatten die Klagen keinen Erfolg.

Auf die Bausparverträge ist Darlehensrecht anzuwenden, denn während der Ansparphase eines Bausparvertrages ist die Bausparkasse Darlehensnehmerin und der Bausparer Darlehensgeber. Erst mit der Inanspruchnahme eines Bauspardarlehens kommt es zu einem Rollenwechsel.

Der XI. Zivilsenat hat in Übereinstimmung mit der herrschenden Ansicht in der Instanzrechtsprechung und Literatur entschieden, dass die Kündigungsvorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB a.F. auch zugunsten einer Bausparkasse als Darlehensnehmerin anwendbar ist. Dies folgt nicht nur aus dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte und dem Regelungszweck der Norm, wonach jeder Darlehensnehmer nach Ablauf von zehn Jahren nach Empfang des Darlehens die Möglichkeit haben soll, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen.

Ebenfalls in Übereinstimmung mit der herrschenden Ansicht in der Instanzrechtsprechung und Literatur hat der XI. Zivilsenat entschieden, dass die Voraussetzungen des Kündigungsrechts vorliegen. Denn mit dem Eintritt der erstmaligen Zuteilungsreife hat die Bausparkasse unter Berücksichtigung des Zwecks des Bausparvertrages das Darlehen des Bausparers vollständig empfangen. Der Vertragszweck besteht für den Bausparer darin, durch die Erbringung von Ansparleistungen einen Anspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens zu erlangen. Aufgrund dessen hat er das damit korrespondierende Zweckdarlehen mit Eintritt der erstmaligen Zuteilungsreife vollständig gewährt. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass der Bausparer verpflichtet sein kann, über den Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife hinaus weitere Ansparleistungen zu erbringen, weil diese Zahlungen nicht mehr der Erfüllung des Vertragszwecks dienen.

Danach sind Bausparverträge im Regelfall zehn Jahre nach Zuteilungsreife kündbar. Aus diesem Grunde sind hier die von der beklagten Bausparkasse jeweils mehr als zehn Jahre nach erstmaliger Zuteilungsreife erklärten Kündigungen der Bausparverträge wirksam.

Vorinstanzen:

LG Stuttgart, Urteile vom 15. September 2015 - 25 O 89/15 und vom 19. November 2015 – 6 O 76/15

OLG Stuttgart, Urteile vom 30. März 2016 – 9 U 171/15 und vom 4. Mai 2016 – 9 U 230/15

Karlsruhe, den 21. Februar 2017

* § 489 Abs. 1 BGB in der Fassung bis zum 10. Juni 2010 

Ordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers

(1) Der Darlehensnehmer kann einen Darlehensvertrag, bei dem für einen bestimmten Zeitraum ein fester Zinssatz vereinbart ist, ganz oder teilweise kündigen, 

1.…

2.…;

3.in jedem Fall nach Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen Empfang  unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten; wird nach dem Empfang des Darlehens eine neue Vereinbarung über die Zeit der Rückzahlung oder den Zinssatz getroffen, so tritt der Zeitpunkt dieser Vereinbarung an die Stelle des Zeitpunkts der Auszahlung.

** § 489 Abs. 1 BGB in der seit dem 11. Juni 2010 geltenden Fassung

Ordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers

(1) Der Darlehensnehmer kann einen Darlehensvertrag mit gebundenem Sollzinssatz ganz oder teilweise kündigen, 

1.…

2.in jedem Fall nach Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen Empfang unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten; wird nach dem Empfang des Darlehens eine neue Vereinbarung über die Zeit der Rückzahlung oder den Sollzinssatz getroffen, so tritt der Zeitpunkt dieser Vereinbarung an die Stelle des Zeitpunkts des Empfangs.

Dienstag, 21. Februar 2017

Bundesgerichtshof entscheidet über die Zulässigkeit von Feststellungsklagen in Widerrufsfällen

Mitteilung der Pressestelle Nr. 020/2017 vom 21.02.2017
  
Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 – XI ZR 467/15

Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute darüber entschieden, ob eine Klage zulässig ist, mit der die Feststellung begehrt wird, dass ein Verbraucherdarlehensvertrag aufgrund des Widerrufs der auf seinen Abschluss gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers rückabzuwickeln ist.

Sachverhalt: 

Die Parteien schlossen im Juni und November 2007 im Wege des Fernabsatzes zwei - überwiegend noch valutierende - Verbraucherdarlehensverträge über 70.000 € und 10.000 €. Die Beklagte belehrte die Klägerin über ihr Widerrufsrecht jeweils unter anderem wie folgt:

"Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. per Brief, Telefax oder E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt einen Tag[,] nachdem Ihnen 

- ein Exemplar dieser Widerrufsbelehrung, 

- eine Vertragsurkunde, Ihr schriftlicher Darlehensantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder Ihres Darlehensantrages, jeweils einschließlich der Allgemeinen Darlehensbedingungen, 

- die Informationen, zu denen die […] [Beklagte] nach den Vorschriften über Fernabsatzverträge (§ 312c Abs. 2 Nr. 1 BGB i.V.m. § 1 BGB InfoV) verpflichtet ist, 

zur Verfügung gestellt wurden, nicht jedoch vor dem Tag des Abschlusses des Darlehensvertrages. 

Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs". 

Mit Schreiben vom 8. Juli 2014 widerrief die Klägerin ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen. 

Prozessverlauf: 

Ihre Klage auf Feststellung, sie habe die Darlehensverträge "wirksam widerrufen" und es bestünden "keine Zahlungsverpflichtungen aus diesen Darlehensverträgen", auf Erteilung einer "löschungsfähige[n] Quittung" für eine der Beklagten gestellte Grundschuld und auf Zahlung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin, mit der sie zuletzt nur noch ihre Feststellungs- und Zahlungsklage weiterverfolgt hat, hat das Oberlandesgericht, das die Klägerin zu einer entsprechenden Änderung ihres Feststellungsbegehrens veranlasst hat, dahin erkannt, es werde festgestellt, dass aufgrund des Widerrufs die Darlehensverträge in Rückgewährschuldverhältnisse "umgewandelt" worden seien. Weiter hat es die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten verurteilt. 

Entscheidung des Bundesgerichtshofs: 

Auf die von ihm zugelassene Revision der Beklagten hat der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs durch Versäumnisurteil vom heutigen Tag das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben. 

Soweit die Revision das Zahlungsbegehren zum Gegenstand hatte, hat der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der Sache selbst erkannt und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, weil der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Leistungsanspruch zusteht. 

Im Übrigen hat der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Dabei waren im Wesentlichen folgende Überlegungen leitend:

Die Zulässigkeit der Feststellungsklage scheitert am Vorrang der Leistungsklage. Das Begehren, die Umwandlung eines Verbraucherdarlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis feststellen zu lassen, deckt sich in Fällen wie dem vorliegenden, dem kein verbundener Vertrag zugrunde liegt, wirtschaftlich mit dem Interesse an der Rückgewähr der auf den Verbraucherdarlehensvertrag erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen, die die Klägerin beziffern kann. Ihr ist deshalb eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar. Eine Leistungsklage erschöpft das Rechtsschutzziel. Da die Parteien auch über die Höhe der Ansprüche streiten, war die Feststellungsklage nicht deshalb ausnahmsweise zulässig, weil die Beklagte als Bank die Erwartung rechtfertigte, sie werde auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, ohne dass es eines weiteren, auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels bedürfe. 

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs konnte auf die Revision der Beklagten die Feststellungsklage allerdings nicht ohne weiteres als unzulässig abweisen, weil der Klägerin Gelegenheit gegeben werden muss, von der Feststellungs- zur Leistungsklage überzugehen. Das Begehren der Klägerin könnte, was von den weiteren Feststellungen des Oberlandesgerichts abhängt, auch noch in der Sache Erfolg haben. 

Zwar hat die Beklagte die Klägerin richtig über ihr Widerrufsrecht belehrt. Der Verweis auf die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften umschrieb hinreichend deutlich die Voraussetzungen, von denen das Anlaufen der Widerrufsfrist abhängig war. Eine Verweisung auf eine konkret bezeichnete gesetzliche Vorschrift stellt, wenn der Gesetzestext - wie hier das Bürgerliche Gesetzbuch und die BGB-Informationspflichten-Verordnung - für jedermann ohne weiteres zugänglich ist, keinen Verstoß gegen das Deutlichkeitsgebot dar, sondern dient im Gegenteil der Verständlichkeit, Übersichtlichkeit und Vollständigkeit der Belehrung. Der Zusatz, die Frist beginne nicht "vor dem Tag des Abschlusses des Darlehensvertrages", war auch im Verein mit der Einleitung "Die Frist beginnt einen Tag[,] nachdem …" nicht irreführend. Er orientierte sich vielmehr am Wortlaut der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und war damit hinreichend bestimmt. Auch im Übrigen hielt die Widerrufsbelehrung einer Überprüfung durch den XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs stand. 

Mangels tragfähiger Feststellungen des Oberlandesgerichts dazu, die Beklagte habe die nach dem Gesetz erforderlichen Informationen tatsächlich erteilt, steht indessen noch nicht fest, dass die Widerrufsfrist an- und abgelaufen und damit der im Juli 2014 erklärte Widerruf der Klägerin ins Leere gegangen ist, so dass Ansprüche der Klägerin aus einem Rückgewährschuldverhältnis nicht bestehen. Das Oberlandesgericht wird nach Zurückverweisung der Sache diese Feststellungen nachzuholen haben. 

Vorinstanzen: 
LG München I – Urteil vom 13. Mai 2015 – 22 O 21729/14
OLG München – Urteil vom 22. September 2015 – 17 U 2271/15

Karlsruhe, den 21. Februar 2017 

Bundesgerichtshof entscheidet über die Wirksamkeit einer Widerrufsbelehrung bei einem Präsenzgeschäft

Mitteilung der Pressestelle Nr. 019/2017 vom 21.02.2017
  
Urteil vom 21. Februar 2017 – XI ZR 381/16

Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute darüber entschieden, welche Bedeutung den besonderen Umständen der konkreten Vertragssituation bei der Bewertung von Widerrufsbelehrungen zukommt. 

Sachverhalt: 

Die Kläger verlangen nach Widerruf ihrer auf Abschluss eines Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung die Erstattung der von ihnen gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung. Sie schlossen mit der Beklagten am 15. Februar 2006 zur Finanzierung einer Immobilie einen Verbraucherdarlehensvertrag über nominal 106.000 € mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Der Vertragsabschluss gestaltete sich so, dass ein Mitarbeiter der Beklagten und die Kläger – alle drei zeitgleich an einem Ort anwesend – die den Klägern erstmals vorgelegten schriftlichen Vertragsunterlagen unterzeichneten. Dem Darlehensvertrag war eine Widerrufsbelehrung beigefügt, die unter anderem folgenden Passus enthielt: 

"Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag[,] nachdem Ihnen 

- eine Ausfertigung dieser Widerrufsbelehrung und

- die Vertragsurkunde, der schriftliche Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Vertragsantrags 

zur Verfügung gestellt wurden". 

Im Herbst 2014 wollten die Kläger die finanzierte Immobilie verkaufen. Deshalb traten sie an die Beklagte heran, um das Darlehen vorzeitig abzulösen. Die Beklagte machte den Abschluss einer "Aufhebungsvereinbarung" von der Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 4.569,82 € abhängig. Die Kläger gaben eine darauf gerichtete Willenserklärung am 21. Oktober 2014 "unter dem Vorbehalt einer Überprüfung des geschlossenen Darlehensvertrages einschließlich der Widerrufsbelehrung" ab. Sie entrichteten die von der Beklagten beanspruchte Vorfälligkeitsentschädigung. Unter dem 21. November 2014 widerriefen sie ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung. 

Prozessverlauf: 

Das Amtsgericht hat die Klage auf Erstattung der Vorfälligkeitsentschädigung und vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Zahlungsbegehren weiter. 

Entscheidung des Bundesgerichtshofs: 

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Dabei waren im Wesentlichen folgende Überlegungen leitend: 

Die von der Beklagten erteilte Widerrufsbelehrung ist als vorformulierte Erklärung gemäß den im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen objektiv auszulegen. Nach dieser Maßgabe ist sie unzureichend deutlich formuliert, weil sie entgegen der für die Vertragsbeziehungen der Parteien maßgebenden Rechtslage so verstanden werden kann, die Widerrufsfrist laufe unabhängig von der Abgabe der Vertragserklärung des Verbrauchers an. 

Ob die Kläger die anlässlich eines Präsenzgeschäfts erteilte Belehrung in Übereinstimmung mit der Beklagten stillschweigend richtig dahin verstanden haben, das Anlaufen der Frist setze die Abgabe ihrer Vertragserklärung voraus, ist unerheblich. Denn der Verbraucher war hier zu seinen Gunsten zwingend in Textform zu belehren, so dass die Widerrufsbelehrung nicht anhand eines konkludenten gemeinsamen Verständnisses der Vertragsparteien korrigiert werden kann. Auf die Kausalität des Belehrungsfehlers kommt es nicht an. 

Der Bundesgerichtshof hat außerdem seine Rechtsauffassung bestätigt, dass eine Aufhebungsvereinbarung einen anschließenden Widerruf nicht hindert.

Das Landgericht wird nach Zurückverweisung der Sache nunmehr anhand der vom Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 12. Juli 2016 (vgl. Pressemitteilung Nr. 118/2016 und Nr. 119/2016) niedergelegten und vom Landgericht, das vorher entschieden hat, noch nicht berücksichtigten Grundsätze der Frage nachzugehen haben, ob die Kläger mit der Ausübung des Widerrufsrechts gegen Treu und Glauben verstoßen haben. 

Vorinstanzen: 
AG Krefeld – Urteil vom 24. September 2015 – 12a C 120/14
LG Krefeld – Urteil vom 1. Juli 2016 – 1 S 89/15

Karlsruhe, den 21. Februar 2017 

Mittwoch, 15. Februar 2017

Verbraucherzentrale Baden-Württemberg: Abzocke mit falschen Versprechen

Verbraucherzentrale warnt vor unseriösen Kreditvermittlern

Stuttgart, 15.02.2017 – Verbraucher, die überschuldet sind und keinen Kredit von ihrer Bank mehr erhalten, suchen oft nach anderen Möglichkeiten, ein Darlehen zu bekommen. Unseriöse Kreditvermittler nutzen die Notlage aus und ködern Betroffene mit fragwürdigen Angeboten. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hat nun die Lyon Finanz GmbH erfolgreich abgemahnt. Statt eines Kredits wurden Verbrauchern nur nutzlose Dienstleistungen angeboten.

Mit Betreffzeilen wie „Ihre Genehmigung in Höhe von 30.000 Euro / Ihre Anfrage bei www.die-kredit-profis.net gab die Lyon Finanz GmbH in ihren Briefen Verbrauchern vor, dass ihr Kreditantrag genehmigt sei. Tatsächlich wurde ihnen jedoch kein Kreditantrag vorgelegt, sondern einen „Vermittlervertrag zur Vermittlung einer Finanzsanierung“. Nach Unterschrift erhielten die Angeschriebenen per Nachnahme Vertragsunterlagen, die allerdings keine Zusage über einen Kredit, sondern eine bloße „Finanzsanierung“ waren. Mit diesen wurde der Kreditvermittler beauftragt, Verbraucher bei der Regulierung von Krediten, Rechnungen und Schulden zu unterstützen. „Der eigentliche Wunsch von Verbrauchern nach einem Kredit wird dabei komplett ignoriert“, sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, „Viele Verbraucher vermuten, dass sie einen Kreditvertrag erhalten, tatsächlich bekamen sie mit dem Finanzsanierungsvertrag aber für sie nutzlose Dienstleistungen, die die Lyon Finanz GmbH sofort abkassieren wollte“. Denn: In seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen legte der Anbieter fest, dass die Vergütung fällig werden sollte, „[…] sobald die Firma Lyon Finanz GmbH dem/den Auftraggeber(n) den Vertragspartner des Finanzsanierungsvertrages sowie die wesentlichen Vertragsdaten des Finanzsanierungsvertrages zur Kenntnis gebracht hat.“ Die Dokumente verschickte die Firma dann per Nachnahme, so dass Verbraucher sofort dafür bezahlen mussten.

Die Verbraucherzentrale hat diese rechtswidrige Klausel erfolgreich abgemahnt. Die Lyon Finanz GmbH hat eine Unterlassungserklärung abgegeben und darf sich nicht mehr auf diese berufen.

Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg

Donnerstag, 2. Februar 2017

Berufsunfähigkeit gezielt absichern - Ratgeber der Verbraucherzentralen

Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Bade-Württemberg

Wer durch Krankheit oder Unfall seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, wird seinen Lebensstandard mit der staatlichen Erwerbsminderungsrente allein kaum halten können. Die Versicherung gegen Berufsunfähigkeit ist deshalb einer der wichtigsten Bausteine privater Vorsorge. Doch für viele Berufs- und Altersgruppen ist eine solche Versicherung ziemlich teuer. Und mit Vorerkrankungen droht gar eine Ablehnung. Falsche Angaben im Antrag können außerdem dazu führen, dass die Versicherung im Ernstfall nichts bezahlen muss. Tipps für die Suche nach der richtigen Police und Hilfen für die Antragstellung bietet der neu aufgelegte Ratgeber „Berufsunfähigkeit gezielt absichern“ der Verbraucherzentralen. Er erscheint in Kooperation mit der ZDF-Sendung WISO.
Das komplett überarbeitete und erweiterte Buch zeigt, wie Verbraucher den individuell passenden Schutz finden und was dieser ungefähr kostet. Auch die nächstbesten Alternativen zur Berufsunfähigkeitsversicherung kommen dabei zur Sprache. Klare Ratschläge gibt es für die Antragstellung und alle dabei erforderlichen Angaben. Ebenso wird der Rechtsweg für das Durchsetzen abgelehnter Ansprüche im Ernstfall beschrieben. Ein Kapitel zu Steuern und Sozialabgaben rundet das Angebot ab.


Bestellmöglichkeiten:
Der Ratgeber „Berufsunfähigkeit gezielt absichern“ kostet 16,90 Euro und ist in den Beratungsstellen der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg erhältlich. Für zuzüglich 2,50 Euro für Porto und Versand wird er auch nach Hause geliefert. Als E-Book steht er für 13,99 Euro zum Download unter www.vz-bw.de/ratgeber bereit.

Mittwoch, 1. Februar 2017

Bundesgerichtshof entscheidet über Rechtsbeschwerden nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) im Telekom-Verfahren betreffend den "zweiten Börsengang"

Mitteilung der Pressestelle Nr. 014/2017 vom 01.02.2017

Beschluss vom 22. November 2016 - XI ZB 9/13

Der u.a. für das gesetzlich geregelte Prospekthaftungsrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 22. November 2016 über die Rechtsbeschwerden von Anlegern und die Anschlussrechtsbeschwerde der Deutschen Telekom AG gegen den Musterentscheid des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 3. Juli 2013 entschieden. Der Senatsbeschluss wurde den am Rechtsbeschwerdeverfahren Beteiligten zugestellt. Die Veröffentlichung im Klageregister ist veranlasst. 

Gegenstand des - im Zusammenhang mit den massenhaft erhobenen Klagen von Aktionären der Deutschen Telekom AG - neu geschaffenen Kapitalanleger-Musterverfahrens können nur verallgemeinerungsfähige Vorfragen zu den einzelnen Aktionärsklagen sein. Im Mittelpunkt des Verfahrens steht dabei die (Un-)Richtigkeit des anlässlich des sogenannten "zweiten Börsengangs" der Deutschen Telekom AG herausgegebenen Verkaufs- und Börsenzulassungsprospekts. Auf Grundlage dieses Prospekts wurden im Jahr 1999 u.a. 250 Millionen neue Stückaktien aus einer im Juni 1999 erfolgten Kapitalerhöhung zum Börsenhandel zugelassen und von der Deutschen Telekom AG öffentlich zum Verkauf angeboten. Zudem diente der Prospekt dazu, über 1,7 Milliarden Aktien aus dem Bestand der Bundesrepublik Deutschland und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zum Börsenhandel zuzulassen. Nachdem der Kurs der Aktien stark gefallen war, kam es ab dem Jahr 2001 zu zahlreichen Klagen gegen die Deutsche Telekom AG, die Bundesrepublik Deutschland, die KfW und einen Teil der Konsortialbanken. 

Im Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main haben der
Musterkläger und die auf seiner Seite Beigeladenen eine Vielzahl von Prospektfehlern geltend gemacht. Die Musterbeklagten - die Deutsche Telekom AG, die Bundesrepublik Deutschland, die KfW und eine in den Ausgangsverfahren verklagte Konsortialbank - haben das Vorliegen eines Prospektfehlers in Abrede gestellt und sich auf Verjährung berufen. Das Oberlandesgericht hat über die ihm durch mehrfach berichtigten und ergänzten Vorlagebeschluss des Landgerichts vorgelegten Fragen und über die mit Erweiterungsbeschluss des Oberlandesgerichts einbezogenen Feststellungsziele durch Musterentscheid vom 3. Juli 2013 entschieden. Einen Prospektfehler hat es nicht festgestellt. Feststellungen hat es lediglich zu Teilaspekten, wie zur Prospektverantwortlichkeit der Deutschen Telekom AG, zu Verjährungsfragen, zur Darlegungs- und Beweislast und zum Adressatenkreis des Prospekts getroffen. Im Übrigen hat es die beantragten Feststellungen nicht getroffen. 

Gegen den Musterentscheid haben 36 Beigeladene Rechtsbeschwerde eingelegt.  Der XI. Zivilsenat hat entschieden, dass das Oberlandesgericht die gerügten Prospektfehler zu Recht verneint hat. Insbesondere berichtet der Prospekt zutreffend und vollständig über das Immobilienvermögen der Deutschen Telekom AG mit mehr als 12.000 Grundstücken und etwa 33.000 baulichen Anlagen. Aufgrund einer umfassenden tatrichterlichen Würdigung ist das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Wert des Immobilienvermögens im Prospekt nicht wesentlich zu hoch angegeben worden war. Der Prospektfehler, den der XI. Zivilsenat in dem anlässlich des "dritten Börsengangs" der Deutschen Telekom AG im Jahr 2000 herausgegebenen Verkaufsprospekt festgestellt hat (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2014 - XI ZB 12/12, BGHZ 203, 1; vgl. Pressemitteilung Nr. 186/2014), betraf einen zeitlich nachfolgenden Geschäftsvorfall, der im hier verfahrensgegenständlichen Prospekt zum "zweiten Börsengang" noch keine Rolle spielte. 

Damit steht für alle Ausgangsverfahren bindend fest, dass aus den betreffend den Prospekt des "zweiten Börsengangs" gerügten Unvollständigkeiten und Unrichtigkeiten keine Prospekthaftungsansprüche gemäß §§ 45 ff. BörsG aF* i.V.m. § 13 VerkProspG aF** und keine deliktischen Schadensersatzansprüche hergeleitet werden können. Auf weitere Fragen zur Darlegungs- und Beweislast, zur Verjährung, zum Adressatenkreis des Prospekts und zur Aktivlegitimation, die dem Oberlandesgericht zur Vorabentscheidung vorgelegt worden waren und zu denen es ebenfalls Feststellungen getroffen hat, wird es in den Ausgangsverfahren daher nicht mehr entscheidungserheblich ankommen. Aus diesem Grunde hat der XI. Zivilsenat die dazu getroffenen Feststellungen auf die Rechtsbeschwerden der Beigeladenen und die Anschlussrechtsbeschwerde der Deutschen Telekom AG aufgehoben und den Vorlagebeschluss insoweit für gegenstandslos erklärt.      

Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main - Beschluss vom 22. November 2006 - 3/7 OH 2/06
OLG Frankfurt am Main - Beschluss vom 3. Juli 2013 - 23 Kap 2/06        

Karlsruhe, den 1. Februar 2017

* § 45 BörsG in der Fassung vom 9. September 1998 

(1) Der Erwerber von Wertpapieren, die auf Grund eines Prospekts zum Börsenhandel zugelassen sind, in dem für die Beurteilung der Wertpapiere wesentliche Angaben unrichtig oder unvollständig sind, kann 

1. von denjenigen, die für den Prospekt die Verantwortung übernommen haben und

2. von denjenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht,

als Gesamtschuldnern die Übernahme der Wertpapiere gegen Erstattung des Erwerbspreises, soweit dieser den ersten Ausgabepreis der Wertpapiere nicht überschreitet, und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangen, sofern das Erwerbsgeschäft nach Veröffentlichung des Prospekts und innerhalb von sechs Monaten nach erstmaliger Einführung der Wertpapiere abgeschlossen wurde. (…) 

** § 13 VerkProspG in der Fassung vom 9. September 1998 

(1) Sind für die Beurteilung der Wertpapiere wesentliche Angaben in einem Verkaufsprospekt unrichtig oder unvollständig, so sind die Vorschriften der §§ 45 bis 48 des Börsengesetzes (…) entsprechend anzuwenden: (…) 
    
Pressestelle des Bundesgerichtshofs

76125 Karlsruhe